(Besonders beachtenswert: Der Beitrag ab 1.22)
Zunächst einmal: Wer auf einer CD vier Minuten lang „Me Meer“ fordert, hat bei mir schon gewonnen. Selbst wenn alle anderen Songs auf der Platte noch so unterirdisch grauslich klingen würden – es gäbe für mich keine Veranlassung, die Qualität des Werks auch nur ansatzweise in Frage zu stellen.
„Me Meer“: So heisst die Single, mit der die Berner „Halunke“ im Frühsommer Werbung für ihre zweite CD „Houston we are ok“ zu machen begannen. Die Musikverantwortlichen der Radiostationen landauf und -ab verliebten sich auf den ersten Takt in das Lied.
Inzwischen steht die aus 14 Stücken zusammengesetzte Rakete professionell produziert und auf Hochglanz poliert auf der Startrampe in Cape Schüpfen im Berner Seeland, wo Oberhalunke Christian Häni mit seiner Frau und Managerin Anja lebt.
Am 21. September schiesst die Silberscheibe in die echten und virtuellen Plattenläden. Und von dort aus mit einiger Sicherheit ohne lange Umwege in die Hitparaden.
Denn das Versprechen, das sie mit ihrem Kurzflug ans Meer gegeben hatten, können Commander Häni (Gesang, Produktion und alles Mögliche) sowie seine Mit-Astronauten Christoph Berger (Drums), Marco Mazotti (Bass) und Simon Rupp (Gitarren) auch auf der Langstrecke halten. Sich durch das gute Dutzend Songs von „Houston…“ zu hören, macht schon beim ersten Mal Spass – auch (oder gerade weil) Häni seine Texte nicht platt auf lustig trimmt, sondern sie – wie schon auf dem Erstling „Souerei“ – mit Hintergründigem und Doppelbödigem anreichert, das sich einem erst im zweiten oder dritten Durchlauf in seiner vollen Pracht erschliesst.
Während Züri West ihr Publikum seit grob geschätzten 150 Jahren mit – wenn auch meist hochkarätiger – Küchentischphilosophie verzücken und Patent Ochsner ihre Zielgruppe seit Urzeiten ebenso gekonnt in ein Melancholiebad nach dem anderen tauchen, setzen die Halunke auf einen Mix aus Witz und Tiefsinn, der zumindest in der Berner Mundartmusikwelt seinesgleichen sucht, ohne zu finden. Bisweilen klingts wie Mani Matter auf Speed. Und zwischendurch wie Polo Hofer in seinen ganz grossen Tagen.
Das eine Prunkstück von „Houston…“ ist „Hopfe und Malz“, für das sich die Mundartlegende Hanery Amman als Gastmusiker ans Piano setzte, um ein simples(?) Stück Hiphop zu einem zeitlos schönen Musikmoment zu veredeln.
(Für die jüngeren Leserinnen und Leser: „Hanery Amman“ ist eines der treffendsten Synonyme anderen Wörter für „Hühnerhaut“:
).
Ein weiteres Highlight von „Houston…“ ist das Titelstück. Eine schönere Liebeserklärung gabs auf Berndeutsch in den letzten Jahren wohl nicht:
Auf ihrem Flug durch die Galaxien der Soundtüfteleien und Wortspielereien beschränkt sich die Halunke-Crew aber nicht darauf, die schönen und weniger angenehmen Facetten des Zwischenmenschlichen zu beleuchten; Häni und seine Mannen schlagen auch kritische Töne an. „Nimm nume“ setzt sich mit der „I want it all and I want it now!“-Mentalität mancher Zeitgenossen aus dem Wirtschaftssektor auseinander; „Boulevard“ zielt auf Zeitungen, Onlineportale und TV-Magazine, die die Leute ununterbrochen mit als Nachrichten getarnten Nichtigkeiten berieseln – und nebenbei auch auf die Leute, die diese Nichtigkeiten für Nachrichten halten.
Doch alles in allem gehts auf „Houston we are ok“, ganz dem Namen entsprechend, vorwiegend heiter zu und her. Der eine Grund dafür ist, dass Häni die Menschen, über die er schreibt, hörbar gerne hat; entsprechend leicht fällt es ihm scheint es ihm zu fallen, ihre Macken und Stimmungen so liebevoll und präzise zu beschreiben, dass sie selbst für Lichtjahre entfernt Aussenstehende vertraut wirken.
Der andere Ursache für die auf dem Raumschiff „Halunke“ herrschende Schwerelosigkeit ist, dass die Besatzung kein Problem damit hat, auch über sich selber zu staunen und lachen.
Im live aufgenommenen Bonustrack erzählt Häni „aus dem glamourösen Leben eines Mundart-Rockstars“, der herausgefunden hat, wie er gegen die ständige Ebbe in der Kasse ankämpfen kann: „Mach ig mis Portemonnaie jetzt uf, nimi halb soviel no druus. Das git einisch d Helfti meh woni jetzt sötti gseh.“
Einen weiteren Abstecher ins Autobiographische gönnt er sich und den Fans in „Next Level“:
„I ha nüt afa merke,
und nüt mitübercho.
I ha zwar 30 Jahr lang Zyt gha,
bi aber schnäll hie härecho.
Ig ha no tuusig Idee und nume Flause im Kopf.
Ha nid dänkt, dass es so schnälll cha ga.
Chas inzwüsche nid besser, aber länger.
Has geng no nid glehrt
und verbrönne mer d Finger.
Nach all dene Jahre han ig
no immer ke Schimmer.
Mini Sprüch si langsam närvig
und mi Buuch gseht us
wie us der Pnö-Egger-Wärbig.
Bi scho chli träg und nümme viel dusse.
Ha dr lieb läng Tag dr Hundeblick druffe.“
Wobei: „Ke Schimmer“? „Närvig“?
Von wegen.
Nachtrag 19.9.: Dass „Houston…“ eine „erfrischende Unbeschwertheit“ ausstrahlt, ist auch dem Schweizer Musikportal trespass.ch aufgefallen.