Sturz durchs Zeitloch

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Eine kleine Notiz bescherte uns einen grossartigen Abend: Auf Facebook teilte der FC Beinwil am See mit, er treffe am Samstagabend im Seetaler Derby auf Meisterschwanden. Als ich das las, bekam ich aus heiterem Himmel chli Heimweh.

Weil es auch meine Frau wunder nahm, wo ich einen schönen Teil meiner Jugend verbracht hatte, fuhren wir kurzentschlossen aus dem Emmen- ins Seetal.

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Der FC Beinwil war ein fester Bestandteil meines privaten und beruflichen Lebens: Beim FC Böju habe ich getschuttet und Junioren trainiert. Später, als Redaktor beim Wynentaler Blatt, schrieb ich über ihn (und zwar immer mit einem My mehr Herzblut als über die anderen Clubs; jetzt kann ichs ja sagen).

Der FC Böju: Das sind für mich glorreiche Siege, unverdiente Niederlagen, turbulente Grümpelturniere, bierselige Samstagabende, endlose Fahrten in die hintersten Ecken des Aargaus, Trainings im strömenden Regen und bei brütender Hitze, Grundsatzdiskussionen mit Vätern, die nicht verstehen konnten oder wollten, dass auch ihr Sohn keinen Stammplatz habe, meist kurzweilige Vorstandssitzungen und gemütliche Jahresendhöcks in der verschneiten Waldhütte.

Natürlich: Das alles gibt es in zig Vereinen landauf und -ab auch. Doch während man anderswo mit dem einen Auge ständig auf die Tabelle und mit dem anderen ununterbrochen in die Kasse schielte, stand in Beinwil am See etwas über allem anderen, was auch der potenteste Sponsor nicht herbeikaufen kann: Das Menschliche.

Als ich mit Chantal gestern Abend durch das Gittertor beim Sportplatz Strandbad gegangen war, merkte ich sofort, dass sich daran nichts geändert hat. Vom Grössenwahn, der schon manchen FC nach dem Aufstieg in die 2. Liga erfasst hat und der im Verbund mit Neid und Ehrgeiz auch die harmonischste Clubstruktur innert weniger Monate von innen zerfressen kann, ist am westlichen Ufer des Hallwilersees nichts zu spüren.

Entsprechende Befürchtungen hatte ich allerdings nie ernsthaft gehabt. Einerseits wird der FC Böju seit Jahr und Tag von meinem besten Freund Martin Hintermann (rechts im obersten Bild) geführt. Er alleine ist mit seiner bodenständigen Art ein Garant dafür, dass keines der weit über 200 Aktivmitglieder auf die Idee kommen kann, abzuheben, nur, weil man jetzt in einer höheren Spielklasse mitwirkt.

Darüberhinaus arbeiten im Hintergrund des Vereins zig Männer und Frauen mit, die wissen, wie man „Kontinuität“ buchstabiert und die im FC so fest verwurzelt sind wie ein Mammutbaum in der Erde. Fremde Fötzel auf der Suche nach Schwarzgeldverstecken sind im FC Beinwil am See ebensowenig willkommen wie Egoisten, die auf und neben dem Spielfeld ihre Profilierungsneurosen ausleben wollen.

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Die Rückkehr auf das vertraute Terrain fühlte sich an wie eine weiche Landung nach einem Sturz durch ein Loch in der Geschichte: Der Platz, der Kiosk, die Festbeiz und die Unterstände für die Trainer und Ersatzspieler sehen noch fast genau gleich aus damals, als ich die 16 auf dem Rücken des gelbblauen Leibchens trug. Über allem liegt der vertraut-herbe Duftmix aus Dul-X, Schweiss und Bratwürsten. Verschwunden sind die Zuschauerbänkli hinter den Seitenlinien. Dafür gibt es eine elektronische Anzeigetafel auf dem Dach der Garderobe und eine hochwattige Flutlichtanlage und einen Kugelgrill plus einen Fan, der die Böjuer mit seinem Megaphon akustisch verstärkt.

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(Bild: pd)

Der Match selber war…naja. Wir haben gewonnen, doch in die engere Wahl für den Friedensnobelpreis wirds das Spiel kaum schaffen. Nach dem Abpfiff stürmte ein gegnerischer Fan auf den Rasen und streckte einen der Böjuer Akteure mit einem Faustschlag nieder. Wenig später war die Platzwunde am Kopf verarztet und die Polizei vor Ort, um eine Anzeige wegen Körperverletzung aufzunehmen.

Das bekam ich aber nur am Rande mit. Ich genoss das Wiedersehen mit alten Bekannten. Mit all den Helden von früher, die sich das Seetaler Derby ebenfalls nicht entgehen lassen wollten, hätte sich beinahe eine komplette Mannschaft bilden lassen.

Die Freude und Herzlichkeit, mit der die ehemaligen Sportsfreunde Chantal und mich begrüssten, hatte etwas Rührendes. Es gab kein Fremdeln und kein Beschnuppern. Vielmehr fühlte es sich an, als ob seit unserem letzten Treffen nur fünf Tage und nicht 25 Jahre vergangen wären.

Als wir nach Hause zurückfuhren, wusste ich: Es gibt Bänder, die nie reissen. Auch wenn die Zeit noch so lange an ihnen zerrt.

2 Kommentare

  1. Schön, wenn man zurückkommen kann und die Welt sich eben doch nicht in allem verändert hat!

    Toller Bericht:-)

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