Jetzt läuft es also wieder, das normale Leben, oder ämu das, was wohl noch für eine sehr lange Weile als „normal“ gelten muss. Seit Montag sind die meisten Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet, wenn auch mit Einschränkungen.
Nun wollte ich mit drei Freundinnen und Freunden herausfinden, wie sich ein Beizenbesuch in Coronazeiten anfühlt. Als Studienobjekt wählten wir das „Serendib“ im Burgdorfer Kornhausquartier.
Nachdem wir uns an der Hygienestation die Hände desinfiziert hatten, betraten wir das Lokal. Tabea Hölterhoff, die Pächterin, winkte uns zur Begrüssung mit schwarzbehandschuhten Händen freundlich zu und teilte uns durch ihre Gesichtsmaske mit, sie habe für uns im hinteren Bereich Plätze reserviert. Dort fühlt sich Tess, die dieser Premiere selbstverständlich ebenfalls beiwohnen wollte, am wohlsten.
Die Plexiglaswände zwischen den Tischen fallen kaum auf und wenn doch, dann nicht negativ, ganz im Gegenteil. Irgendwie wirken sie schick und beinahe so, als ob sie schon immer ein Teil des Konzepts gewesen wären.
Auf weissen Tüchern lagen die „Spielregeln“ sowie ein Papier, auf dem wir unsere Koordinaten angeben konnten, aber nicht mussten. Abgesehen davon liess nichts darauf schliessen, dass wir uns auf einem Terrain befanden, das von der Landesregierung soeben noch als verboten taxiert worden war.
In den folgenden drei Stunden verbrachten wir, was zu verbringen dürfen wir kaum gehofft hatten: einen rundumentspannenden Abend. In dieser Ambiance schafften wir es sogar, uns über Themen zu unterhalten, die nicht das Geringste mit Covid-19 zu tun hatten (an dieser Stelle: Herzliche Gratulation ans Regionalspital Emmental! Dort fand Chefarzt Robert Escher heraus, dass starke Blutverdünnung bei der Genesung von Corona-Patienten hilft).
Der Service, das Essen, die Stimmung: alles war tiptoppstens wie eh und je. Obwohl das Abschmecken mit Maske vermutlich nichts ist, woran ein Koch sich von einer Minute auf die andere gewöhnt, zauberten Manuel Hölterhoff, der das Restaurant mit seiner Tabea betreibt, und Muhim Ademi einen Hit nach dem anderen aus ihren Töpfen und Pfannen.
Wenn wir zwischendurch nach draussen gingen, um unseren Nikotinhaushalt zu regeln, sahen wir viele weitere Gäste, die ihren ersten Ausgang seit Ewigkeiten offensichtlich genossen. Dem Wirtepaar hätte auch ein Blinder angesehen, wie sehr es diesem Tag entgegengeplangt haben muss.
In der ganzen Zeit spürten wir weder, dass wir unter erschwerten Bedingungen tafelten, noch hatten wir Bedenken, uns irgendwo mit irgendetwas anstecken zu können, und nur schon, Mitte Mai 2020 sagen zu dürfen, man habe sich angstfrei ausserhalb seiner eigenen vier Wände bewegt, ist schon deutlich mehr, als man noch Mitte März 2020 erwarten konnte.
Gänzlich unerwartet war für mich auch die Ehre, die mir gestern Morgen im Regionalgericht Emmental-Oberaargau zuteil wurde: Den Angeklagten begleitete nicht nur seine Verteidigerin, sondern auch der Vater, eine Anwaltspraktikantin und eine Mitarbeiterin der Bewährungshilfe an den Prozess, weshalb es in den hinteren Reihen im Saal 3 chly eng wurde. Die Gerichtspräsidentin erlaubte mir kurzerhand, an dem Tisch Platz zu nehmen, an dem normalerweise der Vertreter oder die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sitzt.
Aus einer noch privilegierteren Warte lässt sich ein Strafverfahren kaum mitverfolgen. Aber wer weiss: Wenn wieder einmal eine fünfköpfige Einbrecherbande samt juristischem Gefolge vor dem Gericht in Burgdorf antraben muss, gibts für mich amänd noch ein Upgrade. Dann darf ich vielleicht ganz vorne höcklen.
Ganz oben auf dem Rock’n’Roll-Thron sass jahrzehntelang David Coverdale, der frühere Sänger von Deep Purple und Gründer von Whitesnake. Statt mit seiner Band, wie geplant, auf einer grossen US- und Europatournee Nacht für Nacht Zigtausende von Fans zu begeistern, verbringt er seine Tage im Hausarrest. Die viele freie Zeit nutzt er unter anderem dazu, vor allen Leuten in seiner randvollen musikalischen Erinnerungskiste zu kramen.
Regelmässig setzt er sich an den Stubentisch, um unplugged Schmankerl aus seiner gloriosen Vergangenheit darzubieten. Es gibt nur ihn und seine Gitarre, ab und zu einen falschen Ton und gelegentlich einen Texthänger.
Doch was auch immer er wie auch immer zusammenklampft: Jedes einzelne Stückli kommt von Herzen und lässt hoffen, dass er diese naturbelassenen Perlen irgendwann auf einem Album „From the dining room table“ aneinanderreiht.
Weckt richtig Lust! Danke!