Diesmal ohne "Schweizermacher"

Als kleiner Bub musste ich eines Tages in die Zürcher Poliklinik einrücken. Nachdem ich beim Besuch einer Chüngeliausstellung beinahe erstickt wäre, wollten meine Eltern abklären lassen, worauf (aber nicht auf wen) ich alles allergisch sei*.

Also fuhr ich mit meiner Mutter – oder eher: sie mit mir – ins grosse, grosse Zürich ins grosse, grosse Spital, wo mir jemand 60 oder 70 Chräbel in die Haut ritzte und dann jeden einzelnen Kratzer mit einem Serum betupfte. Minuten später konnte der Arzt das Resultat sehen; ich fühlte es mehr: Wo ich auf das Mittel reagierte, rötete sich die Haut. Und juckte wie wild.

Aber: Ich habs überlebt.

Und dann kam das Beste: Als Belohnung für meine Tapferkeit oder als Entschädigung für die erlittenen Strapazen (ich tendiere zu Ersterem) ging Mamma Mia mit mir ins Kino, wo gerade „Die Schweizermacher“ mit Emil Steinberger und Walo Lüönd ihr Unwesen mit Einbürgerungswilligen trieben. Damit war das grosse Rundumverwöhnprogamm für den Kleinen aber noch nicht zu Ende: Nach dem Film führte sie mich in den den „Pfauen“ beim Schauspielhaus zum Essen aus. Was serviert wurde, ist mir entfallen (geistig; nicht so, wie mans auch verstehen könnte). Aber ich erinnere mich  an viel Rot an den Wänden und an schwere Vorhänge und an dick gepolsterte Stühle und an mindestens drei Kellner, die nonstopp um unseren Tisch scharwenzelten und fragten, ob wir noch etwas haben möchten.

So, dachte ich mir, tafelt man höchstens bei Königs, wobei das alles nichts daran änderte, dass ich einen hausgemachten Hörnliauflauf  bis heute allem vorziehe, was die Menschheit verpflegungsmässig hervorgebracht hat.

Zum krönenden Abschluss dieses für einen Buben vom Land sehr ereignisreichen Tages verirrten wir uns auf der Suche nach unserem Auto im strömenden Regen bis an den Stadtrand von Zürich, zu den Hopfenfeldern der Brauerei Hürlimann. In einer verrauchten Bar, in der ein abgewrackter Mann sein ganzes Geld in einem Spielautomaten versenkte, telefonierte meine Mutter einem Taxi, das uns zu weit vorgerückter Stunde zum Parkhaus zurückbrachte.

Nun steht wieder ein Allergietest an. Diesmal gehe ich alleine hin. Es gibt nachher kein Kino und kein Essen mit Kellnern und allem und keinen Marsch aus der Stadt und kein Taxi zurück. Es gibt nur mich und einen Arzt und ein paar Kratzer und fertig.

Früher war nicht alles besser. Aber dieser Spitalbesuch damals, mit dem ganzem Drumherum: Das war einfach unschlagbar gut.

* Es stellte sich heraus, dass ich – zum grenzenlosen Entzücken meiner Mutter – auf Hausstaub reagiere, von Übernachtungen im Heu und Stroh besser absehe und um alles, was kleiner ist als ein Hund und ein Fell hat, einen grossen Bogen machen muss.  Der eben erst angeschaffte Meerschweinchenkäfig wurde durch ein Aquarium ersetzt. Als grosser Tierfreund fütterte ich dessen Bewohner praktisch rund um die Uhr. Und damit innert weniger Wochen in die Kanalisation.

Schockgefroren

kälteViel wunderbarer kann ein Tag kaum anfangen: Sie ist soeben in Kloten gelandet; und zwar ganz ohne Komplick Komblik Komplikaz Schwierigkeiten.

Seit Jahren wird sie ja in einer fast schon beängstigenden Weise von der zweifellos berechtigten Frage umgetrieben, wie sich wohl ein Poulet Chateaubriand fühlt, das der aus dem Backofen direkt in die Gefriertruhe gelegt wird: jetzt weiss sies.

 

"Chaos pur"

10.50 Uhr: „Frankfurt ist Chaos pur“, schreibt sie. „Alle Flieger verspätet. Drum sassen wir in Kloten während knapp einer Stunde in der Maschine und haben auf die Landeerlaubnis gewartet. Aber jetzt gehts gleich weiter.“

11.16 Uhr: „Zehn Flieger warten vor uns auf die Starterlaubnis. Mindestens eine Stunde Wartezeit.“

12.01 Uhr: „Es geht los.“

12.41 Uhr: „Fehlalarm. Wir stehen immer noch in Frankfurt rum.“

Seither habe ich nichts mehr von ihr gelesen. Vermutlich ist sie jetzt unterwegs nach Indien. Oder nach wie vor in Frankfurt; mit einem leeren Handy-Akku.

 

Um 3.45 Uhr hatte ich sie geweckt. Weil sie so früh auf dem Flughafen Kloten sein musste.

flugschnee

 (Nachtrag) 20.59: Sie ist da. Beziehungsweise: dort.

Streicher statt Strom

Wenn Vertreter zeitgenössischen Musikschaffens ihre grössten Heuler umarrangieren und sie akustisch oder von einem Orchester begleitet neu einspielen, kann das gut kommen – muss aber nicht: „S & M“ von Metallica ist ein Meisterwerk des Crossover-Genres. Die Scorpions hingegen hätten sich „Acoustica“ schenken können. Und den Fans sowieso, wenn sies schon unbedingt unter die Leute bringen mussten.

In der Schweiz entschlackten die Lovebugs (mit „Naked„), Gotthard (mit „Defrosted„) oder Bligg (mit „Nackt„) einen Teil ihres Repertoires. So konnten sie testen, ob ihre Songs auch ohne elektronische Schleifchen und Mäschchen funktionieren – und Käuferschichten ansprechen, die ihre Gehörgänge modernen Klängen sonst nicht ohne Weiteres öffnen:  „Defrosted“ war für viele ein gäbiges Muttertagsgeschenk; „Rosalie“ bereicherte unsere Weihnachtsfeier.

Nun haben sich auch Dada ante Portas den Stecker gezogen und Streicher ins Studio geholt.  Das Resultat tauften sie doppeldeutig „The classics“. Es ist, auch wenn im Umgang mit Superlativen angesichts des noch jungen Rockjahres eine gewisse Zurückhaltung geboten scheint, eine der schönsten Scheiben, die eine Schweizer Band je produziert hat. Die Songs entfalten auf den Geigenteppichen dieselbe Wucht wie vor Gitarrenwänden und Keyboardtürmen. Die liebevoll frisierten Stücke klingen, „reduced to the max“, wie Chris von Rohr sagen würde, ungleich intimer als im Original. Vor „The classics“ waren Dada ante Portas eine Band für Mehrzweckhallen und Openairs. Jetzt würde man sich die Luzerner – samt ihrem Orchester, versteht sich – am liebsten ins Wohnzimmer holen.

Nicht, um es krachen zu lassen. Sondern, um ihnen einmal ganz genau zuzuhören. Und sie und ihre Musik von einer völlig neuen Seite zu entdecken. 

 

Im Buch der Gesichter

Facebook_junkie_3Der Entschluss war so endgültig, wie solche Entschlüsse halt manchmal sind: Vor einem Jahr hatte ich von Facebook die Nase voll. Fest davon überzeugt, mit der Internet-Community nie mehr etwas zu tun haben zu wollen, erklärte ich das Buch der Gesichter für mich als geschlossen und verkündete öffentlich, dass Facebook ungefähr das Einfältigste sei, mit dem ich je zu tun gehabt habe (die verbleibenden 350 Millionen Mitglieder waren mächtig beeindruckt).

Ein paar Monate später war ich wieder da (was die Gemeinde mit dem selben Schulterzucken registrierte wie meinen Ausstieg).

Seither bin ich wieder auf dem Laufenden, jederzeit, und wo immer ich gerade bin: Ich weiss, wann This an seiner Arbeit über die Schweizer Geschichte brütet, wo Role einen neuen Krisenherd entdeckt hat, was meine Cousinen gerade backen, wie Peter mit seiner Farm vorankommt, woran Sämi bastelt, was Chantal beschäftigt und auf wessen Konzert sich mein Bruderherz heute wie wahnsinnig freut; wenn Franziska ein Käterchen hat, bin ich darüber genauso im Bilde, wie wenn Hannes beschliesst, beim Grossratswahlkampftheater mitzuspielen, Charly erwägt, mal wieder durch die Alpen zu tschalpen oder Michael sich am Sonntag dazu durchringt, einen Stapel Aufgaben zu korrigieren.

Muss ich das alles wissen? Brauche ich das?

Die erste Frage kann ich mit Nein beantworten. Die zweite hingegen…ich bin mir nicht sicher. Irgendwie habe ich mich inzwischen so daran gewöhnt – wenn auch nur am Rande -, am Leben meiner „Freunde“ und „Freundinnen“ teilzuhaben, dass mir real wohl etwas fehlen würde, wenn die virtuelle Verbindung auf einmal gekappt wäre.

Und falls es mir doch noch einmal verleiden sollte: Inzwischen gibt es ein weltumspannendes und offenbar schnell wachsendes Netzwerk von Menschen, die sich aus Facebook verabschiedet haben.

Mir kommt das allerdings vor, als ob Jeansträger gegen Uniformen protestieren würden.