Hallo, Nachbar

Man braucht nicht extra eine CD mit den Daten von grossbritannischen Steuerzahlern zu klauen kaufen besitzen, um zu behaupten: Jon Lord hat im Verlauf seiner jahrzehntelangen Karriere als Tastenmann bei einer der erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten und später als Solo-Künstler soviel Geld zur Seite gelegt, dass es für das eine und andere Leben reicht.

Davon geht offensichtlich auch ein gewisser Andrew Walker aus. Er meldet sich heute, für den Mitbegründer von Deep Purple wohl ziemlich überraschend, per Facebook-Nachricht bei Lord: „Jon, do you remember me?“, schreibt Walker. Er, Walker, sei „the boy who lived next door to you in Avril Road“ und habe seinerzeit Lords Vater nach einem Gartenunfall geholfen. Um zu beweisen, dass er die Familie Lord aus dem Effeff kennt, fügt er an, er wisse, dass ihre Katze Sammy hiess und der Hund Jake.

Bevor er noch weitere Details aus dem Lord’schen Privatleben ausplappert, kommt Walker zum Punkt: „I need your help now“, lässt er den Gott der Hammond-Orgel wissen. Die Angelegenheit sei „important“. Deshalb: „Please contact me.“

Dass Walkers einen Klavierlehrer für ihr Töchterchen suchen, ist nicht anzunehmen. Und für Gartenarbeiten werden sie kaum jemanden aus dem Lord-Clan engagieren wollen. Also gehts wohl um Geld. Irgendwo in Leicester sitzt vermutlich ein Opfer der Wirtschaftskrise, das sich auf einmal daran erinnert hat, dass da doch mal jemand war, dems irgendwann viel besser ging als all jenen, die damals missmutig ihrer Arbeit in der Fabrik nachgingen oder auf dem Arbeitsamt anstanden und in jeder Pause und nach jeder Absage darauf hofften, dass die besseren Zeiten schon kommen würden, irgendwie.

Sie kamen nicht.

Deshalb ging ihr Mitbürger Jon Lord, und zwar erst in die Übungskeller und dann in die Plattenstudios und dann auf eine Welttournee nach der anderen, bis er sagen konnte: „Ich habs geschafft. Ich habe mit meiner Musik einen Weg aus diesem verdammten Leicester gefunden. Ich bin frei.“

Und dann: taucht wie ein Gespenst aus der Vergangenheit dieser Typ aus dem Haus nebenan auf.

Was macht man als Star in so einem Fall? Den Mann ignorieren? Einen Check schicken? Die Polizei einschalten? Die Geschichte, die hinter der Bitte steckt, vertonen und die Einnahmen aus dem Song diesem Andrew Walker überweisen, der, wie man sich womöglich erinnert, schon als Kind ein furchtbarer Plaggeist gewesen war? Der immer wie am Spiess brüllte, wenn er nicht bekam, was er haben wollte, bis alle Quartierbewohner genervt ihre Köpfe aus den Fenstern streckten um nachzusehen, was  mit dieser Nervensäge jetzt wieder los ist?

Ein Lied über den Fall zu schreiben, wäre die beste Lösung: Walker bekäme sein Geld, Lord hätte seine Ruhe – und erst noch etwas produziert, über das sich alle Nichtbeteiligten dieser kleinen Geschichte von Herzen freuen könnten.

 

Warten auf Toto Knopfler

Am 15. und 16. Juli spielen

 

Toto

und

 

Mark Knopfler

auf der Piazza Grande in Locarno. Vier Tickets für beide Konzerte liegen gut versteckt in der rechten oberen Schublade des Schränklis gleich hinter der Wohnungstüre.

Musikalisch kann dieses Jahr also passieren, was will. Und eigentlich auch sonst. Die beiden Gigs retten für mich nur schon wegen der Vorfreude darauf das ganze 2010.

 

Ein Schlüsselerlebnis

Diese Geschichte habe ich von Lukas Heinser geklaut, der in Deutschland den Blog coffeeandtv.de betreibt. 

Das macht man eigentlich nicht; ich weiss. Aber die Story von der alten Frau und ihrem Hausschlüssel und der Polizei und der Tochter und den zwei angebrannten Essen ist so schön und herzig und dermassen unglaublich, dass ich sie einfach sofort weitererzählen musste.

 

Draussen vor der Tür

Aus meinen Nasenlöchern ragten kleine Eiszapfen, als ich gestern Abend die Haustüre aufschliessen wollte. Entsprechend erstaunt war ich, meinen Vermieter im Garten zu sehen: in seinem dicken, braunen Mantel sass er an einem Tischchen; vor sich ein halbes Glas Roten, in den blau angelaufenen Fingern eine Zigarette…und im Gesicht einen Ausdruck tiefster Zufriedenheit und Heiterkeit.

Ich solle ihm doch Gesellschaft leisten, er wolle chli pläuderlen, sagte er, und fragte, ob ich einen Tee wolle, was ich dankend ablehnte, weil es mit seinen Tees immer ein bisschen eine Sache ist; mein Vermieter hat die Neigung, sie mit Stoffen anzureichern, die mir nicht sonderlich zuträglich wären; also setzte ich mich teelos zu ihm und plauderte ein Weilchen mit ihm über Gott und die Welt und die SBB und das Nichtrauchergesetz und das Burgdorfer Bauamt und über eine gewisse Katze, die man Auf! Gar! Keinen! Fall! ins Haus lassen dürfe, und während ich spürte, wie innert Minuten alles Leben aus meinem Körper wich und neben mir zu einer gespenstischen Eisskulptur erstarrte, sagte mein Vermieter auf einmal, er und seine Frau hätten noch einen ziemlichen Käseüberschuss, den sie zu einem Fondue verarbeiten möchten, und ob mein Schatz und ich nicht Zeit und Lust hätten, uns am Freitag an den Käsebergrückbauarbeiten zu beteiligen.

Der Gedanke daran wärmte meine steifgefrorenen Muskeln soweit auf, dass ich es ohne fremde Hilfe schaffte, aufzustehen und in meine Wohnung hochzustaksen. Mein Vermieter blieb sitzen und genoss bei mindestens 20 Minusgraden weiter den für ihn offenbar lauen Abend.

Wenn er, wenn ich gleich aus den Haus gehe, immer noch da höcklet und zum Zmorge an einem Glühwein nippt: es würde mich nur mässig überraschen.