Lebendiger Umgang mit dem Sterben

(Bild: deinadieu.ch)

Der Tod näherte sich mir in den letzten Monaten mit einer an Penetranz grenzenden Regelmässigkeit: Einerseits klopfte er öfter denn je an die Türen von mir nahestehenden Menschen, andererseits raffte er zig Musikerinnen und Musiker dahin, die mich zum Teil seit Jahrzehnten begleitet hatten. Darüberhinaus stiess ich bei der Zeitungslektüre immer wieder auf schwarzumrandete Anzeigen, die vom  Hinschied von Gleichaltrigen kündeten.

Fast unbewusst begann ich deshalb, nach Lesestoff über das Sterben zu suchen. Dabei merkte ich schnell: An religiös oder esotherisch angehauchten  sowie literarisch gestalteten Texten zum Thema herrscht kein Mangel; ganz im Gegenteil. Danach stand mir der Sinn aber nicht. Ich wollte diese schwere Kost in möglichst bekömmlichen Portionen serviert bekommen.

Nur: Über den Tod so unverkrampft schreiben wie über das Ferienmachen, Essen oder Heiraten – geht das überhaupt?

Ja, das geht. Sofern die Autorinnen und Autoren über die Bereitschaft und das Gspüri verfügen, sich mit dieser hochsensiblen Materie auseinanderzusetzen und immer wieder Gesprächspartnerinnen und -partner finden, welche sich praktisch rund um die Uhr mit dem endgültigen Abschiednehmen befassen.

Und die der Trauer, dem Schmerz und – wer weiss? – der Wut, die damit einhergehen, folglich mit einer Gelassenheit begegnen (dürfen), die dem Grossteil der Leserschaft naturgemäss fehlt.


(Bild: zvg)

Der Aargauer Journalist Martin Schuppli (Bild) betreibt mit dem Ökonomen Nicolas Gehrig und dem Software-Architekten Hasan Parag seit gut einem Jahr die Site DeinAdieu.ch. Den Machern des „ersten Dialog- und Serviceportals zum Lebensende“ geht es gemäss ihren eigenen Angaben darum, dem Sterben „den Schrecken zu nehmen“. Angesprochen würden „Leute, die ihr Sterben selber in die Hand nehmen möchten“ sowie Angehörige, „die sich und ihrer Familie ein selbstbestimmtes und erfüllendes Sterben ermöglichen wollen“.

Wenn jemand sterbe, seien die Hinterbliebenen erst einmal „hilflos“, sagt Schuppli. Das sechsköpfige Team von Deinadieu versorge sie mit Informationen und Anleitungen – und gebe ihnen die Gelegenheit, „darüber zu sprechen“. Beratend zur Seite stehen der Redaktion Experten wie der Palliativmediziner Roland Kunz, die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle oder die Rechtsprofessorin Dr. Regina Aebi-Müller.

Porträtiert werden beispielsweise ein Theologe, der Menschen beim Sterben begleitet, ein Wirt, der schon über 1000 Traueressen ausgerichtet hat, eine Sarg- und Urnengestalterin, die den Tod als „eine grossartige Chance“ versteht oder ein Trompeter, der regelmässig Abdankungen und Beerdigungen musikalisch umrahmt. Porträtiert werden, nebst vielen anderen, auch ein Bestatter, ein Veterinär, die Chefin eines Tierkrematoriums oder Leute, die als Medium arbeiten.

Sie alle berichten freimütig von ihren Erfahrungen und gewähren mit bemerkenswerter Offenheit Einblicke in ihre Gefühls- und Gedankenwelten. Das Bemühen, Aussenstehenden verständlich zu machen, was letztlich wohl nie ganz verständlich gemacht werden kann, ist jederzeit erkennbar.

Statt Moralinspritzen aufzuziehen und mahnend den Zeigefinger zu heben, lassen die Sterbeexperten Worte wirken. Pfarrer Gabriel Looser, der miterleben musste, wie sich in Bern jemand von einer Brücke in den Tod stürzte, sagt: «Wenn sich jemand für ein selbstgewähltes Ende mittels Suizid entscheidet, beurteile ich das nicht. Und verurteilen tue ich es schon gar nicht. Diesen Entscheid kann nur der Betroffene selbst beurteilen.»

Michele Casale – der Gastronom, der Trauernde verköstigt – erinnert sich heute noch voller Freude an den Abschied von Schauspieler Paul Bühlmann: „Madonna, das war eine Grande Fiesta.“ Dazu passt die Philosophie von Alice Hofer, die in Thun eine „Praxis für angewandte Vergänglichkeit“ betreibt. Sie betrachtet das Leben als „Inszenierung auf der irdischen Bühne“. Der Tod ist für sie „der letzte Akt, bevor wir wieder hinter die Kulissen gehen.» Deshalb habe, wer stirbt, „einen Schlussapplaus verdient“.

Neben journalistischen Elementen bietet Deinadieu auch jede Menge an praktischer Unterstützung: Ein Bestattungsplaner gehört ebenso zum Serviceteil wie Testamentsvorlagen, eine Auflistung der Bestattungskosten und Grabnutzungsgebühren in verschiedenen Schweizer Städten, Tipps in Sachen „Patientenverfügung“ und „Palliative Care“, Muster für Todesanzeigen, Danksagungen und Kondolenzschreiben oder die Möglichkeit, seinen Nachlass digital zu regeln. Weiter sind die Kontaktdaten von zig Bestattern, Musikern, Trauerrednerinnen und -rednern, Restaurants sowie Dutzende privater Friedwälder aufgelistet.

Mehrere Stunden habe ich diese Nacht damit zugebracht, virtuell in Deinadieu zu blättern. Jetzt, nachdem ich auf der letzten Seite angelangt bin, muss ich sagen: Die Angst vor dem Sterben und dem Tod – weniger meinem eigenen als vielmehr jenem von Menschen in meinem Umfeld – kann das Portal mir nicht nehmen.

Aber immerhin:  Nur schon die Erkenntnis, dass es im Diesseits Leute gibt, die sich auf eine höchst lebendige Art und Weise mit dem Gang ins Jenseits beschäftigen, wirkt auf mich sehr beruhigend.

Nachtrag 10. Januar: Auch das Schweizer Fernsehen beschäftigt sich in der Sendung Puls mit „Bestattungen à la carte“ und stellt Martin Schuppli vor.

 

 

 

1 Kommentar

  1. Danke lieber Bluesler, lieber Hannes. Es freut mich sehr, dass du dir die Zeit genommen hast, DeinAdieu.ch durchzublättern.

    Sollte dich einmal eine Frage unter den Nägeln brennen, wir bemühen uns, sie zu beantworten. Und wüsstest du jemand, der mir seine Sicht der Dinge rund um Leben und Sterben erzählen möchte, wohlan, ich täte mich freuen. Herzlicher Gruss mit Original-Grizzlybärendrücker.

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