Da geht ein Licht an, dort singt ein Vogel, weit weg schletzt eine Autotüre: Die Stadt erwacht.
Sie tut das nicht hastig. Es ist, als ob sie sich erst gemütlich räkeln und strecken würde, bevor sie ihre 30 000 Augen öffnet. Ich stehe am offenen Fenster, schaue ihr dabei zu – und fühle mich rundum wohl. Zufrieden. Glücklich. Angekommen. Daheim.
Seit einer Woche lebe ich jetzt in Burgdorf. Erst vor acht Tagen habe ich mich in diesem wunderschönen, uralten Haus am Fuss des Schlosses eingenistet. Und doch kommt es mir vor, als ob ich schon seit einer halben Ewigkeit hier wäre.
Es stimmt einfach alles: Die Landschaft, das Umfeld, die Menschen. Wenn ich nach rechts blicke, sehe ich dichten Wald auf wuchtigen Felsen. Schaue ich geradeaus, erblicke ich am Horizont die schneebedeckte Jurakette. Hinter dem kleinen Park, der an „mein“ Haus grenzt, beginnt die Oberstadt. Am Donnerstagabend streunte ich ein Weilchen durch dieses angeblich rasant aussterbende Quartier. Von Untergangsstimmung spürte ich wenig bis nichts. In anderen Kleinstädten siehts um diese Zeit tupfgenau gleich aus: Jugendliche in Kohlesackhosen, Pärchen auf dem Heimweg, einsame Seelen beim vierten Bier.
Die Nachbarn sind mir mit einem ebenso ehrlichen wie unaufdringlichen Zutrauen begegnet, das ich weder in Freiburg noch in Solothurn erlebt habe. Wobei: Nach Freiburg und Solothurn war ich nicht gezügelt, weil ich unbedingt dahin wollte, sondern jobbedingt. In Freiburg schleppte ich Probleme mit mir herum, von denen ich damals noch gar nichts wusste (oder, eher: nichts wissen wollte). In Solothurn: naja. Ich weiss nicht. Wir wurden einfach nie richtig warm miteinander, die Stadt und ihre Bewohner und ich. Aber das kann passieren.
Doch lange, bevor Chantal und ich mit dem vollgestopften Lieferwagen im Alten Markt einfuhren, war mir klar: Burdlef und ich – das passt. In den fünf Jahren, die ich nun in der Emmestadt arbeite, hat mich die Wärme und Herzlichkeit ihrer Einwohnerinnen und Einwohner immer wieder erstaunt. Die Neugierde, mit der ich mich ihnen nicht nur aus beruflichen Gründen nähere, schreckt die Leute in Burgdorf nicht ab; die Menschen scheinen sich vielmehr zu freuen über das Interesse, das man ihn ihnen, ihrer Arbeit oder ihren Sorgen und Sörgelchen entgegenbringt.
Natürlich freuen sich nicht alle gleichermassen: Manche Burgdorferinnen und Burgdorfer sind grauenhafte Chnorzis. Das macht sie jedoch nicht unsympathisch; ganz im Gegenteil. Der Burgdorfer sagt halt, was er denkt. Und wenn er nichts sagen will, sagt er eben nichts.
Unten auf der Strasse sind jetzt mehr Autos unterwegs als noch vor einer halben Stunde. In der Schmiedengasse machen die Marktleute ihre Stände bereit. Oben, im Schlafzimmer, höre ich Chantal leise stmen. Art Garfunkel singt von seinem „Heart in New York„. Ich schaue aus dem Fenster und freue mich darüber, den leisen Herzschlag von Burgdorf zu hören.
Und, vor allem: ihn ständig zu spüren.
Nachtrag 12.30 Uhr: Kaum hatte ich fertig geschrieben, fielen Millionen von Leintüchern vom Himmel. Sie fallen immer noch. Aber hier stört mich nicht einmal Dauerschnee.
Lieber Hannes, soviel Poesie und echte Zuneigung zu Burgdorf – das ist wirklich schön und mich freuts. All die Negativ-Schtürmi habe ich restlos satt, damit erreicht niemand öppis, und schon gar nichts Positives. Auch ich geniesse den Burgdorf-Groove und fühle mich seit 20 Jahren sehr wohl im Schtedli und mit seinen Bewohnern (ämel mit es paarne). Wachs weiter gut an uf em Hoger und denk manchmal beim Blick aufs Schloss an die gut 800 Jahre, während denen Burgdorfer und ein paar Auswärtige das Schicksal der Stadt und seiner Leute beeinflussten. Ich nehme mal an, dass auch Du ab sofort zu denen gehörst. Bis bald irgendwo auf Strassen, Plätzen oder Beizen und liebe Grüsse von Ursina