Rüeblirüsten, staubsaugen, wäschewaschen, einkaufen: Ein gerüttelt Mass an Obliegenheiten harrte meiner, als ich gestern lange vor dem ersten Schrei des Hahns meinem Läger entstieg. Doch dann klemmte ich mich dermassen entschlossen hinter die Aufgabenschwetti, dass ich schon um 10 Uhr ausstempeln durfte.
Bislang konnte ich meine coronabedingt reichlich bemessene freie Zeit ganz gut mit vermeintlich sinnvollen Beschäftigungen überbrücken: Den Compi ausmisten, die Musikbibliothek à jour bringen, Aufhängplätze für die Bilder suchen, die immer noch zügelkompatibel umwickelt in meiner Wohnung herumstehen, am Klimawandel herumstudieren (Klimawandel? Ach ja: Greta Thurnherr. Tausende von jungen und alten Leuten, Schulter an Schulter. „Die grösste Bedrohung der Menschheit“, wie es noch im Januar hiess.), aufs Geratewohl hin Leute anrufen, nie benutzte Apps löschen, vom Balkon aus kontrollieren, ob sich meine Mitbürgerinnen und Mitbürger an die Daheimbleibeverordnung halten und so weiter und so fort.
Aber jetzt, am Tag 4 des grossen Lockdowns, stellte sich zum ersten Mal die Frage: was nun?
Lange vor dem Mittagessen den Fernseher anzuwerfen, war keine Option. Das macht man nicht, ausser, man hat keine Arbeit und auch sonst nichts zu tun. TV am Morgen ist etwas für Vollversiffte, die ihre Seelen für ein paar Euro an die Macher von Reality Soaps auf RTL II verkaufen und sich dann wundern, wenn die Nachbarschaft sie nach der Ausstrahlung nicht mehr ganz so herzlich grüsst.
Darauf, „endlich mal wieder ein gutes Buch zu lesen“ (was jeder Lifestyle-Consultant empfiehlt, der von einem Onlinemagazin um Tipps für ein konstruktives Aussitzen der Virenkrise angegangen wird), fehlte mir die Lust, und einen Porno mochte ich mir nicht herunterladen; oder ämu noch nicht. Wer weiss, wie lange diese Selbstisolation noch dauert – und wer kann schon sagen, wie weit die Vorräte auf den einschlägigen Seiten reichen?
Am Ende kam mir eine Idee, die so nahelag, das ich sie beinahe übersehen hätte: Ich würde aus den Träumen, die ich in den vergangenen Nächten hatte, eine Geschichte basteln und sie unter dem Titel „Night. Live.“ dann nadisna hier veröffentlichen.
Aber oha: Kaum war ich mit dem Tippen so richtig in Fahrt gekommen, merkte ich, dass ich die Inhalte der einen Kopffilme vergessen hatte und musste ich mir eingestehen, dass ich mit den Plots der verbliebenen Streifen Leute, die psychisch womöglich ohnehin auf dünnerem Eis als auch schon unterwegs sind, unmöglich zusätzlich belasten kann ohne zu riskieren, dass sie für immer in den Fluten des Wahnsinns verschwinden. Man hat auch als Autor eine gewisse Verantwortung, finde ich. Thilo Sarazzin würde das sofort unterschreiben.
Deshalb gibts jetzt kein Buch. Aber was nicht wurde, kann vielleicht plötzlich werden; die Pandemie ist noch jung.
Ungleich konsequenter setzte am frühen Abend das Trio Cappella seinen Geistesblitz in die Tat um: Claudia Muff, Armin Bachmann und Peter Gossweiler machten es sich um 18 Uhr in einer gemütlichen Stube bequem. Von dort aus schenkten sie der Welt ohne Pauken, aber mit Trompeten und allem, ein internettes „Home Office-Konzert“. Einfach so, „als Dankeschön an alle Helferinnen und Helfer in dieser Krise und an Euch zu Hause“, wie sie in der Einladung schrieben.
Zwei Stunden lang sass ich fasziniert vor dem Bildschirm und freute mich über die Musik, die die drei aus den Handgelenken zu schütteln schienen.
Die Musik spielt für mich seit einer gefühlten Ewigkeit letztem Dienstag sowieso eine noch viel grössere Rolle als bisher. Ich realisierte das erst gar nicht, doch Bluesrock, Reggae, Heavy Metal, Pop, Jazz und Klassik begleiten mich neuerdings in einer sich nach dem Zufallsprinzip windenden Endlosschleife.
Pop don’t stop von Kim Wilde,
Alice’s Restaurant Massacree von Arlo Guthrie,
Shut up & kiss me von Whitesnake (Achtung: nichts für #MeTooerinnen!),
Houston we are ok von den Halunke,
Bologna von Wanda,
Riccione von Thegiornalisti,
Just one lifetime von Sting und Shaggy,
I can’t drive 55 von Sammy Hagar, die
Klaviersonate in C-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt von Lang Lang,
Diss Naach ess alles drinn von Bap oder
Only the children von Toto
plus zigtausend andere Melodien erhellen auch die finstersten Ecken in unserem Inneren (und auf die Innereien kommts schliesslich an, wie jeder weiss, der schon an einer Miss-Wahl teilgenommen hat).
Man muss diese Lichter nur suchen. Gelegenheiten dazu sind aktuell ausreichend vorhanden, womit Corona nach der spontanen Nachbarschaftshilfe, der erzwungenen Entschleunigung kompletter Gesellschaften und Systeme sowie dem hemmungs- und folgenlosen Streichenkönnen unvorstellbar wichtiger Termine eine weitere gute Seite abgewonnen wäre.
Was läuft, ist eigentlich nebensächlich. Die Hauptsache ist, dass etwas tönt: Wenn im 4. Stock an der Schmiedengasse 1 ab und zu einmal jemand redet, bin ich das, aber – das hoffe ich zumindest – nur am Telefon. Ansonsten ist es, genau wie draussen, mucksmäuschenstill; stundenlang.
A propos „draussen“ und nur zum Sagen: Das Auto des Jahres steht in Burgdorf (where else?).
Heute beginnt das erste Wochenende unter verschärften Bedingungen. Keine Gruppen von mehr als fünf Personen (soviel abschliessend zum Thema „Die Lobbyarbeit der Swingerclubbetreiber“), zwei Meter Mindestabstand, Polizeipatrouillen in Parks, auf Plätzen und Spazierwegen: Der Samstag und Sonntag dürften noch öder werden als der Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, und das will etwas heissen.
Falls mich jemand besuchen möchte: Der Türöffner im Parterre ist kaputt. Ich müsste also erst vier Treppen hinuntersteigen, um den Gast hereinzulassen, und dann mühselig vier hoch, um ihn in die Wohnung zu führen. Nach dem Treffen ginge es anstandshalber wieder vier Treppen absi und zuunguter Letzt erneut vier obsi.
Drum: Lasst es bleiben. Bleibt, wo ihr seid.
Und, vor allem: gesund und munter.
Nachtrag: Kaum war dieser Text online, outete sich auf Facebook die Besitzerin des Autos des Jahres. Sie heisst Eva Krüll (und ich habe mir solche Mühe geben, die Nummer abzudecken).
Einen Vorteil nebst guter Gsellschaft (natürlich nicht mehr als 4 Personen aufs Mal oder alle nacheinander) hätte ein Besuch bei Dir, dass Du nebst guter Gesellschaft ein gratis Fitnessprogramm geschenkt bekommen würdest! ????????????