Gut 2400 Menschen lasen am letzten Freitag, dass ich mit wachsender Vhairzweiflung jemanden suche, der oder die mir nach eigenem Gutdünken die Haare schneidet. Die Anzahl der Personen, die sich auf die Einladung zur kreativen Entfaltung am lebenden Objekt hin bei mir meldeten, betrug – Stand jetzt – exakt Null (in Zahlen: 0).
Ich bin deswegen weder beleidigt noch eingeschnappt noch sonst etwas; WIRKLICH NICHT!!!
Dann lasse ich die Frise halt weiterwuchern, bis die Figaros und Figaretten ihre Wartelisten mit dem Zwölferrasierer (falls für die nächste geschäftliche Baisse nochly öppis stehenbleiben sollte) oder dem Fünferfräser (was bis zur zweiten Virenwelle hinhalten dürfte) gestutzt haben.
Wie ich aussehe, kann mir ja wurst sein. Ich begegne mir nur selten auf der Strasse, und falls das doch einmal passieren sollte, dürfte ich wohl sagen: nennenswerte Unterschiede zum inzwischen ebenfalls leicht vergammelt wirkenden Rest der Welt sind nicht zu erkennen.
Letzte Woche zum Beispiel kreuzte ein Geschäftsmann meinen Weg, der bis Mitte März auch in seiner Freizeit nur in feinstes Tuch gehüllt durch die Häuserschluchten von Burgdorf zu flanieren pflegte. Nun bummelte er in Jeans und T-Shirt und nachlässig rasiert über die verblütenstaubten Pflastersteine der Altstadt aller Altstädte und wirkte so gleich viel zugänglicher, um nicht zu sagen: menschlicher.
Das kann von mir aus nach Corona so bleiben: „Casual“ für alle und immer! Weg mit dem Kastendenken! Und überhaupt: Get up, stand up, auch und ganz besonders jetzt, wo wir unser Dasein mehr denn je sitzend und liegend fristen.
A propos „yeah, man!“: Ab heute dürfen die Spitäler wieder nichtdringliche Eingriffe vornehmen, die Coiffeur-, Massage- und Kosmetikstudios ihre Betriebe neu starten und Baumärkte, Gartencenter, Blumenläden und Gärtnereien ihre Türen fürs Publikum öffnen.
Wir feiern also, sozusagen, den Anfang vom Ende von Corona, und das ist unabhängig davon, wie dieser Tag verläuft, schon einmal eine gute Nachricht.
Vielleicht auch, wer weiss?, für das horizontale Gewerbe, denn was heisst „Massage-studio“? Sind damit nur diese Studios gemeint – oder auch jene? Falls Letztere inbegriffen sein sollten: Wie muss mann sich das vorstellen? Beide mit Gesichtsmasken und OP-Handschuhen, und bevors losgeht, wird nicht nur kontaktlos mit der Karte bezahlt, sondern auch (nein: vor allem) individuell und mit zwei Metern Abstand ganzkörperdesinzifiert?
Und was ist mit den Tarifen? Die Älteren hier werden sich vielleicht noch erinnern, weils damals in allen Zeitungen stand: Kaum wars mit Aids losgegangen, schnellten in den Bordellen zäntume die Preise für ungeschützten Verkehr in die Höhe. Wird das auch jetzt der Fall sein? 100 Stutz für normal und 150 für mit ohne Mundschutz?
Mit Aids verhielt es sich seinerzeit übrigens ähnlich wie heute mit Covid-19: Bei allem Elend, das die Seuche über die Menschheit brachte, hatte sie auch gute Seiten. Ohne Aids wäre „Philadelphia“ nicht gedreht und Bruce Springsteen nie gebeten worden, einen Song zu diesem Film zu schreiben.
Wenn die Ärzte und Pflegenden in den Spitälern sich gleich wieder auch um Normalsterbliche kümmern, könnte es vielleicht nicht schaden, wenn ihre Chefs bei ihren morgendlichen Briefings klären würden, was genau an Nichtdringlichem ansteht.
Ein Freund von mir, der nach einem Badezimmerunfall wochenlang auf die Behandlung seines gebrochenen Schlüsselbeins warten musste, erhielt vor wenigen Tagen einen Anruf aus der Klinik seines Vertrauens. Die Person am anderen Ende der Leitung teilte ihm mit, dass er nun bald dran sei, man sich der guten Ordnung halber aber noch einmal bei ihm erkundigen wolle, welches seiner Knie operiert werden müsse.
Eine weitere gute Frage ist, ob die Kassen in den hiesigen Baumärkten und Gartencentern tatsächlich so laut klingeln werden wie von den Betreiberinnen und Betreibern erhofft. In Deutschland, wo einige Geschäfte schon vor einer Woche entlockt wurden, hält sich die Freude am Geldausgeben offenbar noch im Rahmen:
„In den Innenstädten waren wieder fast halb so viele Passanten wie zu Vor-Corona-Zeiten unterwegs. Während des beinahe kompletten Shutdowns waren es teils nur zehn Prozent, wie die Kölner Beratungsfirma Hystreet.com festgestellt hat. Sie misst mithilfe von fest installierten Laserscannern die Passantenfrequenz an 118 Standorten in 57 Städten Deutschlands.
Geschaut wurde viel, gekauft wenig. ‚Bisher steigt die Frequenz der Kunden stärker als die Kauflust‘, sagt Jens von Wedel, Handelsexperte der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Offenbar reicht vielen Menschen der Schaufensterbummel zum Zeitvertreib“, berichtet Spiegel Online in einem hinter der Bezahlschranke versteckten Artikel.
Aber: „Qui vivra, verrà“, sagte meine Grossmutter immer. Wenn ich gerade so an sie denke: Zum Glück blieb ihr erspart, Corona miterleben zu müssen.