Als Bartwuchs für mich noch etwas war, womit ich mich vielleicht in ein paar Jahren beschäftigen würde, posierte ich aus einer Laune heraus und weil ich das Geld brauchte, als Fotomodell für Rasierapparate. Das Bild erschien in einem dieser Kataloge, die immer die Briefkästen verstopfen und undurchgeblättert im Altpapier landen.
Die nächsten 30 Jahre verbrachte ich damit, auf meine Entdeckung als Model zu warten. Ich konnte mir das gut vorstellen: Am Morgen in Paris, über Mittag in Mailand, ein paar Stunden später in Sydney, dann weiter nach Kapstadt – ich war bereit; die ganze Zeit. Aber kein Schwein rief mich an. Nicht einmal zweideutige Angebote habe ich erhalten.
Aber jetzt…jetzt fühle ich mich plötzlich wie beim letzten Wippen auf dem Fünfmeterbrett, unmittelbar vor dem Sprung – und Sekunden vor dem Eintauchen in eine andere Welt. Am Horizont winkt mir etwas zu. Ich kann es nicht ganz genau erkennen. Aber ich glaube, es ist der internationale Durchbruch.
Wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, bin ich spätestens im Sommer reich und berühmt. Anlass zur Hoffnung gibt mir diese Ausschreibung, die ich auf der Website des Fotografen Hannes Zaugg-Graf entdeckt habe:
„Zur Neueröffnung der renovierten Badi Uetendorf im Frühling 2012 wird die Badigenossenschaft einen Flyer produzieren und auch aktuelle Bilder auf der Website der Gemeinde aufschalten. Für die Illustration suchen wir Fotomodelle, welche nächsten Frühling vor der offiziellen Eröffnung die neue Badi zum ersten Mal für ein Fotoshooting bevölkern.
Sie brauchen weder Traummasse noch das Aussehen eines Supermodells. Ob jung oder alt, ob Mann oder Frau, selbst wenn Sie nicht im Badeanzug, sondern lieber mit Kleidern im Badibeizli Modell sitzen möchten…
…melden Sie sich.“
Was mich ein wenig irritiert, ist, dass die Bewerber „weder Traummasse noch das Aussehen eines Supermodells“ benötigen: Heisst das, das Leute, die genau diese Voraussetzungen mitbringen, nicht teilnehmen dürfen? Sollten all die Stunden in Fitnesszentren, auf Finnenbahnen, in Schwimmbecken und auf allerlei Foltermaschinen umsonst gewesen sein?
Oder anders gefragt: Wenn sich irgendein dahergelaufener Uetendorfer, der für sein Gewicht viel zu klein ist, als Badi-Model bewirbt, nur weil er von seinem Gemeindepräsidenten auch mal wie, sagen wir,
in Szene gesetzt werden möchte: Hat der tatsächlich dieselben Chancen wie ein durchtrainierter Burgdorfer?