Im Herbst 2008 beschloss Fritz F. – auch auf das immer drängendere Anraten seiner Frau Gerti hin – sich ein Hobby zuzulegen. Nicht, weil ihn das Handwerken übermässig interessiert hätte, sondern mehr, damit Gerti Ruhe gab, kaufte er in einem Bastelshop ein Modellflugzeug.
Doch bald liess er sich nur noch selten in der Wohnung blicken. Irgendwann begann Gerti, ihm das Zmorge, Zmittag und Znacht vor die Türe des Kellers zu stellen, an die er ein Blechschild mit der Aufschrift „Genius @ work“ geklebt hatte.
Darüber, was sich in seiner Familie tat, hielt ihn Gerti per Whatsapp auf dem Laufenden. So bekam er die Taufe seines ersten Grosskindes ebenso mit wie dessen Konfirmation.
Kurz, bevor Gerti sich Sorgen darüber zu machen begann, ob ihr Fritz sein Hobby amänd nicht etwas zu obsessiv betreibe, poppte auf ihrem Handy eine Nachricht auf dem Untergrund auf: „Es ist vollbracht!“, teilte Fritz ihr mit.
Familienmitglieder, Verwandte, Freundinnen und Freunde reisten aus der ganzen Schweiz an, um den Jungfernflug von Fritzens Maschine zu feiern. Gerti organisierte bei Nachbarn lange Tische. Diese stellte sie auf ein Feld in der Nähe ihres Quartiers und belegte sie mit Chäschüechli und Lachsbrötli. Hugo aus dem 3. Stock untermalte die Sause mit lüpfigen Handörgeliklängen.
Zum Einstieg in seine Ansprache sagte Fritz, ihm habe einmal jemand gesagt, man dürfe bei solchen Anlässen „über alles reden, nur nicht über fünf Minuten“. Anschliessend bedankte er sich bis weit in die Dämmerung hinein bei seiner Familie im Allgemeinen und bei Gerti ganz im Besonderen für deren Nachsicht und Geduld sowie bei Wilbur und Orville Wright für deren Pioniertaten, ohne die er jetzt nicht hierstehen würde, mit seinem Flugzeug zu Füssen und der Fernbedienung in Händen.
Dann war er gekommen, der grosse Moment: Fritz kippte den Schalter auf dem schwarzen Kasten mit der riesigen Antenne auf „on“ und stiess ein Hebeli am Bauch des Flugzeuges nach hinten. Augenblicke später hob die Maschine ab.
Wie von einer Schnur gezogen, schwebte sie davon. Fritz fingerte wie wild an seiner Fernbedienung herum, doch das Flugzeug flog einfach weiter geradeaus in Richtung eines Wäldchens.
Atemlos starrte die Festgemeinde durch das Halbdunkel in Richtung der Bäume und Sträucher. Auf einmal war ein lautes Knacken zu hören, gefolgt von einem unheimlichen Rascheln. Dann wurde es still.
Kein Mensch wagte, etwas zu sagen, und obwohl der Situation für Leute, die nicht ihr halbes Leben mit dem Bau eines Modellflugzeugs verbracht hatten, durchaus eine gewisse Komik innewohnte, lachte niemand.
Im Verlauf der nächsten Stunden löste sich die Gesellschaft nadisna auf, bis nur noch Fritz, von einem grauen Mond beschienen, mit hängenden Schultern und trockengeweinten Augen auf dem Acker stand.
Mitte November, noch vor dem ersten Schnee, schlug Gerti ihm vor, die Absturzstelle zu suchen und das Wrack zu bergen. Doch Fritz winkte ab. Das wollte – und konnte – er sich nicht antun.
Fast gleichzeitig guckte an der Amietstrasse in Burgdorf jemand aus dem Fenster. In einem Busch gegenüber erblickte er etwas, was vor ein paar Tagen noch nicht dagewesen war: