Einsam zirpt eine Grille vor sich hin. Ganz leise, als ob sie niemanden stören möchten, rascheln Blätter an Sträuchern. Ich stehe in der Küche und warte darauf, dass das Wasser im Kocher brodelt. Die Familie schläft. Weil es um diese Zeit nicht viel Aktuelles gibt, womit es sich beschäftigen könnte, spult mein Gehirn das Band mit den Erinnerungen in eine unvergessliche Nacht im australischen Sommer 2010 zurück:
Nur Cat, Chantals Cousine, ist noch auf. Sie wirkt leicht irritiert, als ich nachts um halb drei durchs Wohnzimmer schlurfe. Ob alles in Ordnung sei, fragt sie; ich sei ja gerade erst zu Bett gegangen. Jaja, sage ich geistesabwesend. Cat wendet sich wieder ihrem Computer zu. Im Fernseher, der hier rund um die Uhr läuft, dreht eine junge Frau fast durch vor Begeisterung über eine neue Haarentfernungscréme; ich gehe davon aus, dass gleich fluchende Männer in weissen Kitteln ins Studio stürmen und sie dahin zurückbringen, von wo sie nach dem Znacht geflüchtet ist.
Ich gehe in die Küche. Durch die angelehnte Verandatüre höre ich Vögel krächzen. Ein Windhauch bläst den süssen Duft von Jaccarandablüten durch den Garten.
Kaum war ich anderthalb Stunden Stunden zuvor eingeschlafen, hatte sich etwas in mein Unterbewusstsein geschlichen. Dort rotierte es so lange durch zig Gehirnwindungen, bis ich von dem Lärm erwachte.
Während ich heisses Wasser über das Kaffeepulver schütte, stelle ich fest, dass das Etwas weiterhin durch meinen Kopf rast. Es wird von Runde zu Runde grösser und stärker und wächst innert Minuten vom Gedanken zur Gewissheit heran. Dermassen gereift, sucht es sich nun einen Weg von der Fantasie in die Realität. Auch Cat scheint zu spüren, dass in mir etwas vorgeht. Sie fühlt, dass in diesem Raum auf einmal mehr ist als nur sie und ihre Facebook-Freunde und die Haarentfernungsfrau und ich.
Ich beschliesse, sie einzuweihen. Wobei: Von „Beschliessen“ kann nicht die Rede sein. Ich muss einfach mit ihr reden. Als sie kurz darauf weiss, was mich beschäftigt, strahlt sie, wie Menschen nur selten strahlen.
Und jetzt…jetzt stehe ich zur selben nachtschlafenen Zeit im selben Haus in derselben Küche vor demselben Kaffeekocher wie vor zwei Jahren. Wieso ich erwacht bin, weiss ich nicht.
Was ich weiss, ist: Es kann nicht annähernd so wichtig gewesen sein wie das, was mich damals, in jener Sommernacht des Jahres 2010, aus dem Schlaf gerissen hatte:
Die Erkenntnis, dass es höchste Zeit sei, Chantal zu fragen, ob sie mich heiraten wolle.