(Bild: Hannes Zaugg-Graf, z-arts)
Manchmal frage ich mich, wie manches miteinander verbunden ist und wenn nicht, wieso dann trotzdem irgendwie.
Es begann damit, dass ich ein paar Zeilen über Luca Hänni verfasste; den jungen Uetendorfer, der darauf hofft, Deutschlands nächster Superstar zu werden.
Zu behaupten, dass mich „DSDS“ interessieren würde, wäre schwer übertrieben. Aber weil Uetendorfs Gemeindepräsident Hannes Zaugg-Graf, mit dem ich ein bisschen bekannt bin, den auf einmal prominenten Maurerstift in seinem Studio fotografiert hatte, führte ich mit ihm ein Interview für die Online-Ausgabe der BZ. Daraufhin verfolgte ich von der Peripherie her, was sich in Sachen „Luca“ so tat und tut.
Während das Interview kaum Wellen warf, ging wegen des Blog-Eintrags in meinem privaten Briefkasten die Post ab. Ich erhielt Mails von wildfremden Leuten aus fernen Landen, die fragten, wie sie Luca Hänni erreichen könnten. Also stellte ich klar, dass ich mit dem Sänger nichts zu tun habe und auch nicht genau wisse, wie man ihn am Vielversprechendsten anschreiben könne.
Daraufhin herrschte ein Weilchen Ruhe.
Unterbrochen wurde sie etwas überraschend dadurch, dass eines Tages Luca Hänni himself in meiner virtuellen Stube aufkreuzte: „Hii ich wollte mal fragen ob ich mal die nummmer von dir bekomme und wenn ja dann schicke sie mir auch gleich mit“, schrieb der 17-Jährige in einem Kommentar. Die Nummer gab ich ihm gerne, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wozu er sie verwenden könnte. Aber wenn ich bei einer Castingshow mitmachen würde, würde ich auch Telefonnummern sammeln wie wild. Wer weiss, wozu man sie noch gebrauchen kann, wenn die sehr knapp bemessene Halbwertszeit als Instant-Promi von des Fernsehens Gnaden abgelaufen ist.
Nachdem wieder ein paar Tage verstrichen waren, flatterte eine Mail aus Österreich in meinen elektronischen Redaktionsbriefkasten. Eine Frau aus Steyr teilte mit, dass ihre Tochter mit wachsender Verzweiflung versuche, mit Luca Hänni Kontakt aufzunehmen. Doch leider beantworte der junge Mann, der von RTL seit Wochen von Interview zu Interview, von Probe zu Probe und von Autogrammstunde zu Autogrammstunde gehetzt wird, weder Anfragen auf Facebook noch direkt an ihn gerichtete Schreiben.
Am selben Tag, an dem ich diesen Hilferuf journalistisch verwertete, verschickte die Gemeinde Uetendorf eine Mitteilung, der zu entnehmen ist, dass Gemeindepräsident Zaugg wegen des Mega-Gstürms um Hänni „akute Anzeichen einer Erschöpfungsdepression“ zeige, unter Kreislaufproblemen leide und deshalb vorläufig nur noch „auf Sparflamme“ arbeite.
(Andere Gemeinden würden in einem vergleichbaren Fall verdruckst kommunizieren, dass der Chef „sein Arbeitszeitmodell optimieren“ wolle. In Uetendorf hingegen wird nicht um den heissen Brei herumformuliert: „Es mussten sofort geeignete Entlastungsmassnahmen ergriffen werden, um einen Totalausfall zu verhindern.“ Das nennt man Transparenz.)
Ich bin ich froh, wenn diese „DSDS“-Staffel endet. Sie wird mir langsam unheimlich, obwohl ich von ihr nicht einmal direkt betroffen bin.
Wie muss dieser Hype auf jemanden wirken, der ihn voll erfasst – wie die Verantwortlichen von Uetendorf zum Beispiel, oder Lucas Familie?
Was im Umfeld von Luca Hänni passiert, hat nur noch sehr bedingt mit Musik und Spass zu tun. Der Rummel um diesen Wettbewerb ist unkontrollierbar geworden wie eine Lawine, die aus heiterem Himmel abgeht und mit- oder umreisst, was in ihrem Weg steht.
Stephen King würde wohl sagen: „Es wächst einem über den Kopf.“
Nachtrag 28. April: Es ist vorbei.
In diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich:
Ich wurde zum Glück noch rechtzeitig ausgegraben, hatte ich doch letztes Jahr dank eines guten Freundes ein Barryvox in Form des Buches „In den Krallen des Raubvogels“ in die Hand bekommen. Thomas Knapp beschreibt darin, wie er ein Burnout erlitt – und wie er mit dieser Krankheit umging und umgeht.
Da wusste ich: Ich darf all die Zaunpfähle, die da winken, nicht länger ignorieren. Dadurch konnte ein wirkliches Burnout vermieden werden. Inzwischen geht es mir schon wesentlich besser. Dies wäre nicht der Fall, wenn ich nicht noch gerade rechtzeitig die Notbremse hätte ziehen können und genügend Leute eingesprungen wären, um meine Arbeiten zu übernehmen.
Den Rummel, der um DSDS im Allgemeinen und um Luca Hänni im Besonderen veranstaltet wird. kann man sich nicht vorstellen. Ich erhielt noch nie zuvor so viele Schmähbriefe, Drohtelefone und Müllmails wie nach der Absage des geplanten Konzerts von Luca. Der Auftritt kam vor allem deshalb nicht zustande, eil ich mich geweigert hatte, der Produktionsfirma mit meiner Unterschrift zu bestätigen, dass sie nicht die Veranstalterin sei und folglich auch nicht haftbar wäre für allfällige negative Folgen dieses Auftritts. Als ich die Firma auf den Unterschied zwischen rechtlicher und moralischer Verantwortung aufmerksam machte, schlug der Produktionschef schliesslich telefonisch vor, die Sache abzusagen.
Der Wegfall dieser Verantwortung war genau der Auslöser, der bei mir nach drei 80 Stunden-Wochen zum Zusammenbruch führte. Ich finde den Vergleich mit der Lawine sehr schön und kann auch voll hinter der Aussage stehen: Das Ganze wuchs uns klar über den Kopf.
Nicht ohne Grund habe ich sämtliche Konten bei sämtlichen Social Networks aufgehoben. Mein Nachfolger als Koordinator für die ganzen Aktivitäten, die einem als Gemeinde von der DSDS-Veranstalterin aufgezwungen werden (Kostenpunkt am Schluss: wohl über 50 000 Franken) hatte bereits nach einem Wochenende die Schnauze voll. Sein Nachfolger muss nun noch die Schlussendung mit all den Medienanfragen managen.
Und dann wird bei uns hoffentlich bald wieder Ruhe einkehren.