„Weihnachten“: Dieses Wort ist Gold in Kinder- und Erwachsenenohren. Bei den Sprösslingen – so vermute ich wenigstens – stehen besonders die Päckli im Vordergrund. Bei den Erwachsenen mehr die Freude am Wiegenfest Jesus‘ und nicht zuletzt das etwaige Musizieren ihrer kleinen Stradivaris und Mozarts.
Das Aufsatzthema lautet aber nicht, „Was ist Weihnachten?“, sondern: „Wie ist Weihnachten in Eurer Phantasie dargestellt?“ – Ich möchte Weihnachten nicht als „Päckli-“ oder Überraschungsfest erleben. Am liebsten wäre es mir, wenn Grossmutter, Grossvater, Onkel, Tante, Götti und die Gotte zu einem fröhlichen Schmaus kämen. Natürlich habe ich nichts gegen kleine Überraschungen, aber diese sollten nicht die Hauptsache sein.
Doch auch Vorweihnachten ist mir sehr sympathisch. Mir gefällt es immer sehr, wenn der Kranz mit den Kerzen auf dem Tisch steht und wenn zum Dessert ein Stück Kuchen serviert wird. Meine Tante hat mir einen wunderbaren Adventskranz aus leeren Streichholzschachteln gebastelt, in welchem jedesmal irgendetwas drin ist, was man gut gebrauchen kann. Zum Beispiel ein Spitzer, ein Gummi usw. Auf diese Weise könnte ich mir jedes Jahr ein kleines Büro einrichten.
Aber zu Weihnachten gehört sicher auch der Samichlaus. Am Abend des 6. Dezember sitzen wir mit den Grosseltern im Wohnzimmer, wo wir erwartungsvoll auf ein Klingeln im Treppenhaus warten. Sobald es dann läutet, beginnt mein Herz komisch zu klopfen, obwohl ich, ganz im Gegensatz zu meinem kleinen Bruder, ein ziemlich gutes Gewissen habe.
Ein Weihnachtswunsch von mir wäre aber auch, dass es in dieser Zeit keinen Krieg mehr gibt. Wenn man nämlich bedenkt, dass in Vietnam viele Väter Weihnachten im Panzer verbringen müssten, könnte einem fast ein bisschen die Festtagsfreude genommen werden.
Zum Schluss noch etwas zu Weihnachten im Allgemeinen: Man soll und darf dieses Fest nicht als Erwachsenen- oder Kinderfest beschreiben, sondern als eine Feier, welche in der ganzen Welt geachtet und geehrt wird.“
Dieser – nun ja – Artikel erschien am 5. Dezember 1978 im „Böjuer Informationsblatt“. Verfasst wurde er von einem gewissen Johannes Hofstetter (13).
Ich hatte damals an einem Schreibwettbewerb teilgenommen. In die Kränze kam ich mit der Erzählung nicht. Das lag weniger an der Konkurrenz („Der Wettbewerb stiess leider nur auf wenig Gegenliebe und brachte termingerecht einen Beitrag“, teilte der rührige „Böjuer“-Verleger Franz Mattig seiner Leserschaft mit), sondern vor allem daran, dass ich den Einsendeschluss verpasst hatte. Aus Goodwill – und amänd, weil er sein Heft auch in den nicht übertrieben ereignisreichen Adventstagen füllen musste – druckte Mattig den Aufsatz trotzdem ab.
Jetzt, nachdem mir die Geschichte 33 Jahre später wieder in die Hände gefallen ist – Mütter neigen dazu, Dinge aufzubewahren, die man selber längst vergessen hat – muss ich sagen: Genauso würde ich sie wohl nicht mehr schreiben. Panzer und Krieg neben Adventskalendern und Kuchen: Mein erster und letzter gedruckter Kommentar zur grossen Weltpolitik wirkt rückblickend ein wenig sehr…wie soll ich sagen?…altklug. Und etwas gar konstruiert.
Unabhängig davon würde ich heute ganz bestimmt auf die Passage „…obwohl ich, ganz im Gegensatz zu meinem kleinen Bruder, ein ziemlich gutes Gewissen habe“ verzichten.
Ich meine: Mein Brüetsch war damals siebenjährig. Was, bitteschön, kann am Gewissen eines Siebenjährigen schlecht sein?
Wahrscheinlich ist es nichts als ausgleichende Gerechtigkeit, wenn wegen dieses achtlos hingeworfenen Halbsatzes nun mich ein etwas ungutes Gefühl plagt.
Dasselbe gilt für einen Titel, den ich Jahre später über einen Fussball-Matchbericht setzte. Mein – schon wieder er! – Bruder stand eines unschönen Abends als Goalie des Drittligisten Reinach unter dem Dauerbeschuss der Stürmer des turmhoch überlegenen Zweitligisten Gunzwil.
Anderntags fiel mir nichts Gescheiteres ein, als den Text gross mit „Es war nicht Hofstetters Abend“ zu überschreiben. Ich weiss nicht, welcher Teufel mich dabei geritten hatte. Vermutlich wollte ich der Leserschaft beweisen, dass ich beim Texten keine Rücksicht auf Verwandt- oder Freundschaften nehmen würde und als ganz und gar unabhängiger Reporter einfach rapportiere, was es zu rapportieren gibt. Möglicherweise wollte ich damit jemandem imponieren. Vielleicht wars auch nur der Restalkohol.
Die Gründe dafür mögen für immer im Dunkeln liegen. Klar ist jedoch: Obwohl mein Brüetsch nach mir in den Journalismus einstieg, wusste er lange vor mir, wie Worte verletzen können.
Ich selber merkte das irgendwann auch. Nach dem Stammtischerfolg „Sechs Frauen unter 400 Männern“ (zum Start einer neuen Rekrutenschule in Freiburg) und dem romantisch-launigen „Küsse statt Schüsse“ (über ein Schweiz-Kosovarisches Liebespaar) oder dem schampar originellen „Der Bundesrat gibt Gas“ (im Lauf der Debatte über die Nachrichtenlosen Vermögen) sowie dem einen und anderen weiteren Schenkelklopfer segle ich schlagzeilenmässig nun schon seit einem geraumen Weilchen in gemässigteren Zonen.
Mein vorläufig letzter Titel lautete „…dann schreibe ich ein paar Zeilen“.
Damit gewinnt man keine Wettbewerbe. Aber dafür kann man sichs auch in 30 Jahren noch anschauen, ohne über sich selber den Kopf schütteln zu müssen.