Werte Ignoranten vom „Rolling Stone“

Im Wissen darum, dass Ihr vor Lachen gleich unter Eure Designerschreibtische fällt: Seit der Hochzeit von Steffi Graf mit diesem Tennisspieler hat mich nichts mehr dermassen enttäuscht wie eure „Sammler-Ausgabe“ mit den „500 besten Alben aller Zeiten“.

Neunzehn Franken neunzig habe ich heute Nachmittag dafür bezahlt. Doch als ich vorhin die letzte der 122 Seiten umblätterte, musste ich mir sagen: Das Geld hätte ich gescheiter nach Griechenland geschickt.

„Die 500 besten Alben aller Zeiten“: Das klingt ziemlich ultimativ. Das wirkt sehr kompetent (vor allem dann, wenn man weiss, dass an dieser Aufstellung knapp „400 Musikschaffende, Künstler, Kritiker und Branchenleute“ mitgewirkt haben, „deren schiere Kompetenz so eindrucksvoll wirkt wie ihre Prominenz“, wie Ihr im Vorwort, Euch selber kräftig auf die Schulter klopfend, notiert).

„Die 500 besten Alben“: Das liest sich wie ein Versprechen.

Aber dann…dann lobt Ihr erst einmal praktisch alles, was die Beatles, die Rolling Stones, Bob Dylan, Led Zeppelin, The Police, Neil Young, Jackson Browne, Prince und Michael Jackson je produziert haben, in den Himmel. Damit sind plusminus 100 Plätze besetzt.

Natürlich: Nichts gegen die Beatles, nichts gegen die Rolling Stones, nichts gegen Bob Dylan, nichts gegen Led Zeppelin, nichts gegen Neil Young, nichts gegen The Police, nichts gegen Jackson Browne, nichts gegen Prince und fast nichts gegen Michael Jackson.

Aber: Was ist mit Emerson, Lake & Palmer? Bob Seger? Judas Priest? Journey? Kennt Ihr Asia? Yes? Oder die Dire Straits? Porcupine Tree? Boston? Sind euch Genesis ein Begriff? Saga? Ozzy Osbourne? Oder Alvin Lee (mit oder ohne Ten years after)? Supertramp? Queensrÿche? Rainbow?

Wenn ich „Uriah Heep“ schreibe oder „Motörhead“ oder „Muse“ oder „Iron Maiden“: Zieht auf Eurer Redaktion tatsächlich kein einziger eine Augenbraue hoch? Schiesst keiner vom Stuhl auf und brüllt „Mist! Haben wir vergessen!“

Und wenn ich jetzt noch Toto erwähne (ihr wisst schon habt möglicherweise schon davon gehört: Die Band, deren Mitglieder auf so gut wie jeder Platte von so gut wie jedem Künstler mitgespielt haben, der sich in den letzten drei Jahrzehnten ernstzunehmender Rockmusiker nennen durfte und die mit ihrem Album „IV“ fast soviele Grammys gewannen wie all eure Superhelden zusammen): Wie mancher von Euch Oberexperten springt haareraufend aus dem Fenster?

Während Ihr euch immer noch grölend Eure Bäuche hält und „Supertramp!“ japst und „Genesis!!“ und „Hast du gelesen? – Toto!!!“, räume ich freimütig ein: Ich könnte das auch nicht, „Die 500 besten Alben aller Zeiten“ aufzählen. Ich würde – kleiner Gag am Rande – schon beim Zusammenstellen der 10 besten Platten ever scheitern.

„Das ist doch nur ein Spiel!“, gluckst Ihr unter euren Tischen hervor. „Ich weiss“, antworte ich, schon im Türrahmen stehend, mit aller Gelassenheit, die jemand noch aufbringen kann, der soeben entdeckt hat, dass Barry White mit „Can’t get enough“ in Eurer Liste Platz 283 belegt. „Für Euch ist diese Hitparade ein Witz. Nichts Ernstzunehmendes. Ein Sommerlochfüller. Und vielleicht“, füge ich selbstkritisch an, „sollte man die Musik tatsächlich nicht soooo ernst nehmen, wie das manche Leute – darunter ich – tun.“

Abgesehen davon…doch ich ahne: Es hat keinen Sinn. Und überhaupt: Je kürzer der Leserbrief, desto besser die Abdruckchancen, ich weiss.

Deshalb: Vergessen wirs einfach.

Wobei: Wo sind Deep Purple?

Deep Purple haben mit „Made in Japan“ immerhin „die Definition des Rock“ geschaffen.

Das behaupte nicht ich. Das habe ich gelesen.

In der vorletzten Ausgabe des „Rolling Stone“.

5 Kommentare

  1. Da werde ich eben doch lieber mitleidig belächelt, wenn ich gestehe, regelmässig das „Rock Hard“, den „Metal Hammer“, das „Classic Rock“ oder das „Rocks“ zu konsumieren. In diesen Magazinen hat niemand den Anspruch, den 1. Einsatz einer Sitar in der Popmusik als beinahe Zurückwerwandlung der Erde in eine Scheibe zu feiern. Nein, in diesen Magazinen werden Melodien, Hooklines, Refrains, Soli, Grooves – einfach alles, was Hühnerhaut im positiven Sinne verursacht, lobgepriesen! Und das ist gut so… jedenfalls für mich!

    Long live Rock’n’Roll!

  2. und man könnte die liste beliebig verlängern, übrigens, zum beispiel mit: afghan whigs, cake, cracker, eels, helmet, james brown, jethro tull, living colour, metallica, primus, queens of the stone age, rammstein, sportsguitar, stiller has, züri west… – natürli, nicht alles im einzugsgebiet des rolling stone, aber he, warum die scheuklappen?

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