Unforgettable

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Als in den Büschen die Lichter aus- und über der Bühne die Scheinwerfer angehen, wird es im Park des Hotels schlagartig so still, dass man die berühmte Stecknadel in den ebenso famosen Heuhaufen fallen hören könnte.

Aus dem Halbdunkel schreiten „The Tenors“ an die Mikrofone, und nur schon die Art und Weise, wie die wie aus dem Truckli wirkenden Herren erst ein paar Sekunden lang einfach nur dastehen und in die Runde starren, lässt keinen Zweifel daran offen: sie sind finster entschlossen, dem knapp hundertköpfigen Publikum in den nächsten zwei Stunden genau das zu bieten, was sie ihm auf ihren Plakaten versprochen haben: eine „unforgettable night“.

Los gehts – mit Blick auf die vielen Deutschen in den Zuschauerreihen wenig überraschend – mit der getragen intonierten Fischerballade aus Schuberts Forellenquintett und einem voller Heiterkeit präsentierten Querschnitt durch Franz Lehar-Operetten.

Und dann…dann zündet das offenkundig hervorragend aufgelegte Trio unerwartet früh, aber nichtsdesto heftiger ein Feuerwerk an Melodien, das in seiner verschwenderischen Pracht nicht wenige der Damen und Herren auf den Plasticstühlen immer wieder verzückte „Ahs“ und „Ohs“ vor sich hinseufzen lässt: „Oh, wie so trügerisch sind Weiberherzen“ (aus Rigoletto), „Nessun dorma“ (aus Turandot), „Ich bin das Faktotum der schönen Welt“ (aus dem Barbier von Sevilla), „Auf, trinket in vollen Zügen“ (aus La Traviata; wird in den hintersten Rängen unpassenderweise mit kaum verhaltenem Gegröhle quittiert), „Das Odem der Liebe“ (aus Cosi fan tutte), „Nur der Schönheit weiht‘ ich mein Leben“ (aus Tosca), „Sagt, holde Frauen“ (aus Le nozze di Figaro) oder „Ja die Liebe hat heute Flügel“ (aus Carmen): es ist, als ob Die Tenöre zum Wunschkonzert gebeten hätten, ohne, dass zuvor jemand auch nur einen Wunsch hätte äussern müssen.

Natürlich: Wohl den äusseren Umständen geschuldet (der Anlass findet im Freien bei rund 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit statt, und amänd wäre es keine schlechte Idee, wenn das Hotelmanagement gelegentlich mal über eine neue Lautsprecheranlage nachdenken würde) ist die eine oder andere Unsicherheit vor allem im Bassregister – das naturgemäss ohnehin nicht zu den bevorzugten Lagen von Tenören zählt – auch von Laien kaum zu überhören. Bei einzelnen Mezzosoprankoloraturen können die Sänger gewisse Schwächen im Ausdruck ebenfalls nur mit Mühe kaschieren.

Andrerseits: da vorne stehen nicht Luciano Pavarotti (wie auch?), Placido Domingo und José Carreras, sondern drei Männer, die tagsüber vielleicht als Taxifahrer, Pizzaiolo und Tui-Animateur arbeiten und deren verdammte Pflicht es Montagabend für Montagabend ist, vor einem aus lauter Klassikkretins bestehenden Publikum für Geld alles zu geben, was die Playbackmaschine hergibt, und wenn der Idiot, der ihnen diesen Apparat immer massiv überteuert vermietet, als Zugaben „Samba pa ti“ von Carlos Santana, „Child’s anthem“ von Toto und „Tubular Bells“ von Mike Oldfield programmiert hat, dann ist das halt so, und dann wird eben auch das noch voller gekünstelter Inbrunst ins Grüne geschmettert, und überhaupt habe ich das Konzert der Tenöre gar nicht gesehen (drum gibts zu diesem Text auch kein Livebild, sondern nur eines, das ich beim Stromausfall in meinem Zimmer aus dem Fenster geschossen habe); natürlich nicht: irgendwo hat auch in den Ferien alles seine Grenzen.

Ich war an diesem Abend nicht einmal im Hotel, weil ich noch vor dem ersten Ton in eine von der Sintflut verschont gebliebene Strandbeiz flüchten konnte, um mir die erste Pälla dieser Ferien zu gönnen.

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